(Du bist Ihr Held, sie liebt Dich immer noch …)
14. Juni 2009.
Sonntag.
7:15 Uhr
Wolfsanger. Morgennebel ist weg gewabert.
Wer um diese Uhrzeit auf der Straße zu sehen ist, hat entweder einen Hund oder kehrt von der – wo auch immer verbrachten – Nacht dahin zurück, wo er die Akkus wieder aufladen kann.
Ein Farbiger, auffallend dünn, klein, mit leuchtgelber Plastikjacke, ungepflegtem Gruselzopf, kreuzt die Straße, ohne die Fußgängerampel zu betätigen. Macht eh keinen Sinn, außer mir ist kaum ein weiteres Pkw-Gespann unterwegs.
Ein junger Mann mit zusammengekniffenen Augen geht vorsichtig auf dem Bürgersteig. Rotblonder Nachtbart. Er sieht übernächtigt aus. Jetzt gerade irgendwie zu klein für seine Klamotten, die gestern Abend mit Sicherheit noch passten. Sein Gesicht ist zwar blass aber über der Blässe liegt eine hektische Rötung, sieht nach der rosa gedunsenen Gesichtsfarbe aus, die im Gesicht aufschlägt, wenn man kurz eingenickt war und erschreckt wieder aufwacht.
Ampel.
Vor mir ein blitzsauberer Mercedes Benz. C-Klasse. Halbschräg stehend gibt die Karosse gelassen den Blick frei auf todschicke Alufelgen.
Gegenlicht. Die Sonne direkt von vorn.
Die Schattenrisse im silbernen Statussymbol vor mir betrachte ich genauer. Lange Rotphase.
Rechts auf dem Beifahrersitz, ein Pudelköpfchen. Kerzengerade. Sieht aus wie friseurverbrochene Minipli oder natürliche Negerkrause.
Fahrerseite, hochtoupierter, haarsprayfixierter Pony. Vielleicht ist sie Friseuse? Oder sollte er das wirklich selbst gemacht haben?
Das beginnt mich zu interessieren.
Mit meinem Fun-Car rolle ich bei der nur wenige Meter entfernten, ebenfalls roten, Ampel direkt auf Fahrerfensterhöhe und schaue rüber.
Überraschung.
Er ist das, was man einen gepflegten „älteren Herrn“ nennt. Betrachte ich die Hände am Steuer und die Stellen seines Gesichtes, die von der Riesensonnenbrille nicht verdeckt werden, ersetze ich „älteren“ durch „verdammt alt“. Aber, gut gehalten. Leichte Segelbräune.
Um sein Profil wogt das geahnte Odeur von wirtschaftlicher Unverletzlichkeit. Dieser alte Mann hat sich um alles gekümmert. Für die Familie gelebt?
Kurz nach vorne beugen.
Seine Süße. Junge, Junge. Kerzengerade. Hat sie als kleines Mädchen Klavier spielen gelernt? Ihrer anmutigen Haltung zur Folge, ja!
Sehr schmales Gesicht. Faltig, klar. Man kann jedoch noch erkennen, dass sie als junge Frau eine Schönheit gewesen sein muss.
Selbst jetzt, im Alter, welches sich ja die Bösartigkeit heraus nimmt, Gesichtszüge grober werden zu lassen, ehemals filigrane Anmut stiehlt, Nasen größer und knubbeliger macht und mit dem Erschlaffen der Haut und Gesichtsmuskulatur den ehemaligen Charme der Physiognomie verfremdet, erkenne ich noch sehr genau die Feinheit ihrer Züge. Eindeutig – er hat sich damals die Ballkönigin gegriffen.
Radio läuft. Nummer 4. Radiobob.
Crocodile Rock. „I remember when rock was young, me and Susi had so much fun …!“
Jetzt!
Sie sieht zu ihm rüber. Auch sie trägt eine Sonnenbrille. Trendy. riesig groß. Ist derzeit dank Herrn Lagerfeld wieder irre stylisch. Beim Betrachten Ihres Modells allerdings betritt eine Vision meine Seelenbühne, die mir suggeriert, sie hat diese teure, für den Urlaub gekaufte Brille, schon getragen, als die Kinder noch im Heck des Wagens herumtobten, nervten, nörgelten, während dessen man vom ersten Geld mit Ausblick auf mehr, in den 60ern an den Gardasee fuhr.
Die Nachbarn waren beeindruckt als sie den W 115 beluden. Sie hatte ihre schönsten Sommerkleider aus dem Schrank geholt, gut, dass sie noch passten. Die Kinder waren komplett neu eingekleidet worden.
Mein Gott, wie niedlich sah Petra in dem lindgrünen Kleidchen mit dem Rosenmuster aus. Die weißen Söckchen, die schwarzen Lackschuhe mit einem Riemchen über dem Spann.
Und Michael. Ganz der Vater. In seiner kurzen Stoffhose mit Bügelnaht stand er bei dem Abfahrts-Foto, was der Nachbar Möller für sie knipste, stolz wie ein Spanier neben ihm.
Alle trugen ihre Sonnenbrillen und waren bereit für große Abenteuer. Ein Teil des Wirt-schaftswunders stand in cremeweiß auf ihrem Hof und in die Zukunft blickten sie mit hoffnungsvoller Gewissheit.
So war es vielleicht 1968.
Und jetzt? Steht ein C-Klasse-Benz neben mir an der Ampel vor dem Kreisel am Platz der Deutschen Einheit. Daran hätte damals niemand zu denken gewagt. Deutschland. Einheit?
Seine Hände ruhen links und rechts am Steuer. Sie hat ihm ihr Gesicht zugewendet und legt ihre linke Hand auf seine rechte. Er blickt sie an. Ob er etwas sagt, kann ich nicht sehen. Sie spricht nichts, ihre Lippen bewegen sich nicht, sie lächelt.
So bleibt ihre Hand auf seiner liegen, bis die Ampel auf Grün springt und er betont forsch, mit ein bisschen zu viel Gas, losfährt.
Als ich im letzten Augenblick des Vorbeifahrens hinübersehe scheint es so, als habe sein Gesicht weniger Falten als noch soeben, als wären seine Hände muskulöser, ja, jünger geworden.
In jedem Falle entschwindet aus dem Sicht-Rahmen meines Beifahrerfensters ein sonntagmorgen-/sonnenverwöhnter, lächelnder, junger Mann, mit seiner blutjungen, verführerischen Liebsten.
Views: 114