Der macht nix …!

„Steinchen schnicken, macht meiner gern!“
„Ach ja? Da steht meiner nicht so drauf!“
„Hat Ihrer schon mal?“
„Was?“
„Na, gezeugt.“
„Wie? Ach so! Nein, nein, meiner ist ein Weibchen!“
„Hätten Sie ja auch gleich sagen können!“
„Oh, Ja, da haben sie wohl recht!“

So schlendern wir dahin im kleinen Park an einem wunderschönen Frühlingsmorgen. Die mittelältere Dame an meiner Linken ist mit „Randy“ unterwegs, einem (!) reinrassigen Scotch-Terrier, der aussieht, als sei sein Papa ein gewichts-preisgekrönter Basset und Mama ein mutiertes Exemplar ihrer Rasse gewesen. Schwer japsend wuchtet er sich über den Kiesweg. Die Dame ist sehr nett. Schließlich hat sie mir großzügig verziehen, als ich sie beim ersten Zusammentreffen fragte: „Was ist denn das für ein Mischling?“

Meine Kleine, reinrassiger Mischlings-Tierheimhund mit traumatischer Vergangenheit federt über die Wiese. Kleiner, als die meisten handelsüblichen Hauskatzen. Größentechnisch angesiedelt zwischen Meerschweinchen und Waschbär.

Madame läßt mich an Ihren Lebensüberzeugungen teilhaben, während ich umsichtig die Gegend nach Riesenhunden abschaue.

„Also, wer Hunde nicht mag, der mag auch keine Menschen, sag ich immer …! Insbesondere, schon gar nicht, Kinder! Was meinen Sie?“

„Tja, da könnte was dran sein, weil …“

„Also, mein Mann und ich, wir fahren ja sogar immer getrennt in den Urlaub, weil ‚Randy‘ unmöglich alleine bleiben kann – und weggeben, also, weggeben kommt gar nicht in Frage! Ich sag ja immer, wer einen Hund haben will, muß sich auch der Verantwortung bewußt sein. Hundeliebe, überhaupt Tierliebe ist eine Tugend! Die meisten Leute vergessen das. Wer keine Hunde mag, mag auch keine Menschen. Das sag ich immer!“

„Na ja, das mit dem getrennten Urlaub ist doch sicher sehr aufwendig, oder?“

„Ja, aber stellen Sie sich doch mal vor, in unserer Abwesenheit würde ‚Randy‘ von irgend einer Hündin reingelegt …“

„Was???“

„Na, er ist immerhin reinrassig. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, was man uns schon für Geld geboten hat, um ‚Randy‘ abzukaufen. Unser Wohnzimmer steht voller Pokale, voller Pokale, sag ich Ihnen. Wenn er sich schon vermehrt, dann muß das wohl ausgesucht sein, verstehen Sie? Sozusagen handverlesen!“

„Ach.“

„Na viel Ahnung von Hundezucht haben Sie aber nicht, oder? Was ist Ihrer denn für eine Rasse?“

„Tja, das kann man so genau nicht sagen. Die haben mir gesagt, es sei ein Maltesermädchen. Aber in der Aue habe ich mal eine Frau getroffen, die hat geschworen, daß sie ein ‚Havaneser‘ wäre. Keine Ahnung.“
„Ja, wo haben Sie sie denn gekauft?“

„Gekauft ist ein bißchen übertrieben, ich hab sie mit ‘ner kleinen Spende aus dem Tierheim geholt.“

„Oh! Na ja. Ist ja trotzdem ganz possierlich das Tierchen.“
„Danke.“

Randy kackt mitten auf den Kiesweg. Prima. Auffordernd bleibe ich stehen und warte, daß Madame die reinrassige Wurst entsorgt. Irgendwie hat diese aber einen Anfall von vorübergehender, spontaner Blindheit und schlendert teilnahmslos weiter. Hartnäckig bleibe ich am Ball.

„Also, ich hab’ so kleine Tütchen dabei und Zewa-Tücher!?“

„Bitte?“

„Ich würde Ihnen selbstverständlich gerne ein Tütchen und ‘n Zewa-Tuch geben …“

„Ach ja … richtig, richtig. So was, jetzt war ich aber in Gedanken …“

Das Lächeln kommt verdammt gequält. Randy hat aber auch eine gute Verdauung.

Mein Lächeln an dieser Stelle kommt überhaupt nicht gequält. Madame beginnt, glaube ich, den Hundespaziergang mit mir auf ihre eigene Art und Weise zu genießen. Schätzungsweise wird das unser letzter gemeinsamer Ausgang. Ihr Blick hat was Feindliches. Ich setze mein breites High-School-Lächeln auf und bemühe mich um lockere Konversation.

In der Zwischenzeit sind mehrere Hundebesitzer auf die Idee gekommen, sich und ihre Sturmbegleiter im Park auszulüften. Besonders auffällig ist ein ziemlich spaßig aussehendes Trio. Eine kleine, sehr schmächtige Frau wird ausgeführt von einem gigantischen Rottweiler und hat wohl zum persönlichen Schutz einen Yorkshire-Terrier an der Leine. Find ich prima. Der dicke Rotti darf ohne Leine gehen, aber die gefährliche Killerbestie von Yorki wird safe geführt. Ich muß eben auch nicht alles verstehen.

Madame hat den Geruch lang wieder aus der Nase und ist wieder ein bißchen gesprächsbereiter.

„Also, die Engstirnigkeit der Leute ist ja entsetzlich. Diese Intoleranz gegenüber Hundebesitzern, diese Anfeindungen, unbeschreiblich! Man sollte offener und herzlicher sein, was meinen Sie?“

„Also, ich denke …“

„Wissen Sie was ich meine? Meiner Meinung nach sollten die Leute einfach freundlicher miteinander umgehen! Egal, ob Hunde- oder Katzenmenschen. Insbesondere wir Hundebesitzer müssen zusammenhalten, was meinen Sie?“

„Ja.“

Ein Zwei-Buchstaben-Wort ist so ziemlich das einzige was ich reinquetschen kann, wenn Madame denn gesprächig ist.

„Freundlicher und offener! Beides! Mit mehr Gefühl und Verständnis, verstehen Sie?“
„Ja.“
Das „Ja“ kommt immer ganz gut durch. Beim Luftholen für’s nächste Wort wird’s aber schon schwierig.

In einiger Entfernung nähert sich nun das Trio aus Rotti, Yorki und Mini-Mami. Der Rotti bleibt stehen. Aus einem mir von meinem Gehirn nicht näher erläuterten Grund bleibe ich auch stehen. Madame, in ihren Monolog vertieft, steht ebenfalls. Unsere Hunde, besonders meine Kleine, äugen ziemlich beunruhigt nach vorne. Und? Jetzt passiert’s!

Der Rotti haut den Allradantrieb rein, schätzungsweise achtzig Kilogramm Lebendgewicht werden schneller und schneller. Mein Hundchen bewegt sich rückwärts. Randy hat noch nicht so ganz den Durchblick und glotzt ziemlich schwerfällig in Richtung der schwarzen, brandgefährlichen Masse, deren Augen gelb aus dem Lackschwarz herausleuchten. Mir geht der Hintern auf Grundeis. Mein Lächeln is‘ schon lange weg, mein Hund steigt mir am Bein hoch und will hochgehoben werden. Scheiße. Was kommt jetzt? Das wird doch hoffentlich nicht die Geschichte: „… mein Frauchen macht Dich fertig, du Arsch …!“ Schluck. Mir hängt das zitternde Fellbündel auf’m Arm. Madame kapiert noch langsamer als Randy, der jetzt ebenfalls an ihrem Bein klebt und winselnd um Arm-Asyl bittet. Irgendwie geht alles ziemlich schnell und Angst fließt mir aus jeder Pore.

Im Hintergrund mit dem an der Leine baumelnden Yorki, ruft Mini-Mami mit wild schwingenden Armen: „DER MAAAAAAACHT NIX !!!“

Klasse.

Als ich mich im Laufen umdrehe, sehe ich gerade noch aus einigen Metern Entfernung wie die schwarze Wucht auf der Brust von Madame, die unter dem Sprung längs auf dem Kiesweg aufgeschlagen ist, zum Stehen kommt. Wahnsinn! Randy ist noch nicht einmal andeutungsweise zu sehen. Baby hängt mir winselnd im T-Shirt-Ausschnitt. Wir drücken uns hinter einen Geborgenheit einflößenden Baum. Vorsichtig luge ich vorbei.

Mini-Mami brüllt immer noch, aber jetzt’n ganz anderen Text: „Bleiben Sie ruhig liegen. Ganz ruhig. Ich hol‘ meinen Mann. ‚Terror‘ kommst Du jetzt her!!! Kommst Du von der Dame da runter!!!“
‚Terror‘ knurrt, daß ich es bis hinter meine Zuflucht hören kann. Mein Gott, wie soll ich hier bloß wegkommen?

Madame liegt regungslos, leise schluchzend unter ‚Terror‘, der mittlerweile in ihrem Busen nach dem abgehauenen ‚Randy‘ sucht. In meiner Verzweiflung überlege ich mir, ob schon mal ein Fall von sexueller Nötigung eines Rottweilers an einer Dame vorgefallen ist… Quatsch!

Mini-Mami schleift Yorki fast zu Tode, der völlig überfordert mit der angeschlagenen Geschwindigkeit in der Leine hängt. Ihr Ruf-Text lautet jetzt: „Karl-Heinz!!! Karl-Heinz!!! Karl-Heinz!!!“

Karl Heinz muß sein verdammtes Hörgerät ins Klo geschmissen haben! Das Geschrei von Mini-Mami kann man garantiert vom Tannenwäldchen bis in die Friedrich-Ebert-Straße hören. Bloß Karl-Heinz hört nix.

Na nur gut, daß‚ wenn Karl-Heinz schon nix hört, Terror‘ auch nix macht!

Ich kleb‘ am Baum, Baby zittert immer noch. Neben uns taucht ein vibrierendes Etwas aus einem Busch auf:
Randy! Du Verräterschwein! Deine Alte liegt unter’m 80-Kilo-Rotti und Du haust ab! Wie war das? „Ein Hund steht Dir im Sturme bei, ein Mensch nicht mal im Winde …“. Irgendwie hat der Dichter damals nicht ‚Randy‘ gemeint.

Endlich!!! Karl-Heinz!!!

Ein großer Herr, im sportlichen Golf-Look eilt herbei. Mini-Mami hat mittlerweile verstanden, daß der Yorki kurz vorm Abnippeln war und hat die Windhund-Hasen-Attrappe auf den Arm genommen.

Ein lautes Brüllen von „Karl-Heinz“ und Rottis Kopf schnappt herum, wie ein geöltes Scharnier. Er verläßt die üppige Oberweite von Madame und schleicht mit gesenktem Haupt Richtung Herrchen. Karl-Heinz ist stinksauer. Der Rotti wird, je näher er ihm kommt, immer kleiner und scheinbar flacher. Schließlich liegt er auf dem Boden.

Madame steht auf. Sie erholt sich erstaunlich schnell und setzt ein tierisches Organ frei.

„Sie Dreckschlampe!!! Ihre scheisstöle auf mich zu hetzen!!! ICH ZEIG SIE AN!!! UND IHREN FOTZENlecker können sie gleich mitnehmen aufs revier!!! DAS HAT FOLGEN!!! MEIN MANN IST ANWALT!!!

Meine Herren! Junge, Junge … Wie war das ?

„Wissen Sie was ich meine? Meiner Meinung nach sollten die Leute einfach freundlicher miteinander umgehen! Egal, ob Hunde- oder Katzenmenschen. Insbesondere wir Hundebesitzer müssen zusammenhalten, was meinen Sie?“

Tja, und das alles an einem stinklangweiligen Dienstag-Vormittag im Tannenwäldchen …

***

Ach übrigens, mein Name ist Schneider und vielleicht können Sie sich ja einen Reim darauf machen, WER da jetzt noch mit auf die Wache sollte … der Yorki oder Karl-Heinz?

Schönen Tag noch.

Isonyx

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