Carry me

Wir befinden uns in Tucson: Ich interviewe Jo Idiot bei 40° im Schatten, und wie man weiß, rutscht Kunst überall durch und raus: aus Wüsten ebenso, wie aus sterbenden, zahnlosen Mäulern. Ich begann mit den Fragen und alles mündete, wie immer, in diesem Affentheater, von, wir beide tun so, als wäre das ein echtes Interview und nicht nur ein Gefälligkeitsklüngel, bestehend aus vorgefertigten Fragen und ebensolchen Antworten. Pseudoschriftsteller, die ein Mal im Leben die richtige Hand geschüttelt haben, oder sonst was.

Auf dem Weg hierher kam ich über diese holprige Landstraße und sah parallel dazu einen Fußweg. Ausgetrampelt, rau und rissig, wie alte Arbeitshände. Staubig mündete er in eine klapprige Holzbrücke, um sich am Waldrand weiter zu schlängeln. Nachdem ich diesen Mumien, die schlicht zu faul und zu fett zum Umfallen waren, die Bühne beleuchtet hatte, wollte ich nur noch meine Schuhe ausziehen, den Dreck aus den Socken schütteln und in das kleine Flüsschen tauchen. Ich wollte den Libellen zuschauen und meine Tasche am liebsten einfach liegenlassen, wie ein achtlos zurückgelassene Kofferbombe. Diese Interviewreihe für den Verlag dauerte jetzt schon vier Wochen und ich besuchte nur Scheintote, deren Literatur glibberig und abgekupfert war. Alles wirkte auf mich, wie Fast Food, was zu lange in den Papiertüchern vor sich hingeweicht war. Alles war trocken und stank nach altem Käse. Ihre Augen waren irgendwie rosa, wobei in diesem blassen Rosarot Pupille und Iris verschwammen wie frische Regentropfen auf Altölpfützen.

Aber, ich hatte noch gut vier Stunden Zeit bis ich in diesem Städtchen sein musste, wo mich ‚Idiot Irgendwer‘ am Bahnhof erwartete. Ich würde dem blassen, schwindsüchtigen Zeitungsgehilfen sein Rad zurückgeben. Aber hier und jetzt, konnte ich die Augen schließen, dem Plätschern zuhören. Summen. Ich hatte in dieser heißen, kaputten Stadt seit Jahren kein Summen mehr gehört, außer von defekten Radiatoren. Zirpen. Fiepsen. Je länger ich zuhörte, umso schöner klang es. Ein Orchestergraben unter der Holzbrücke. Ich nahm meine Füße aus dem Wasser, legte mich auf das warme Holz und atmete zum ersten Mal seit meiner Kindheit wieder Luft, die anders roch, als verdorbene Lebensmittel, Autoabgase, gärende Reste, oder den stinkigen Smog, den die Vulkanisierungs-Industrie am Stadtrand jede Nacht über die Billigwohnungen ausgoss.

Ich träumte von Mathilda. Wahrscheinlich die schönste Frau mit der ich jemals körperlich vereinigt war. Von ihrem goldroten Haar, ihrer Zärtlichkeit, ihren weichen Brüsten, den sauberen Händen, ihrer Makellosigkeit.

Und ganz zum Schluss, als mich ein Lastwagen aus dem Halbschlaf riss, fiel mir ein, wie ihre großen Brüder mich geschlagen hatten, weil ich ihre wunderschöne Schwester befleckt hatte.

Ein riesiger violettfarbiger Schädel hing aus dem offenen Fahrerfenster: „Hey, Kleiner, willst du mit in die Stadt?

Wirf dein Rad auf die Pritsche hinten, ich kann ein bisschen Unterhaltung gebrauchen!“

Views: 107

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert